News

„Stumme Videos“: Eye Tracking als Feedback-Methode

13.04.2023

Das Projekt „Stumme Videos“ zielt darauf ab, die Fähigkeiten angehender Physiklehrkräfte zur Präsentation von Demonstrationsexperimenten zu verbessern.

Ausgehend von der Absicht die Anforderungen des Lehrer:innenberufs mehr in die Physiklehrerausbildung zu integrieren, konzipierte Prof. Dr. Raimund Girwidz im Rahmen der BMBF-geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ das Projekt „Lehramtsspezifische Ergänzungen und Berufsfeldbezüge für die Grundvorlesung der Physik“. Dieses Projekt zielt darauf ab, die Fähigkeiten angehender Physiklehrkräfte zur Präsentation von Demonstrationsexperimenten zu verbessern. Dazu wurde das Konzept der „stummen Videos“ als innovative Trainingsmethode entwickelt und von Matthias Schweinberger in der Ausbildung der Physiklehramtsstudierenden an der Ludwig-Maximilians-Universität implementiert. Anhand „stummer Videos“ erlernen die Studierenden den Aufbau, die Durchführung und die Präsentation von Experimenten. Dabei orientiert sich das Training an der Leitfrage: „Wie lenke ich die Aufmerksamkeit der Schüler:innen zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle des Aufbaus und stoße zielgerichtete Beobachtungen an?“

Dazu üben Studierende mit Hilfe unvertonter, etwa zweiminütiger Videos, ausgewählte Demonstrationsexperimente physikalisch und fachdidaktisch fundiert zu moderieren. Sie vertonen online bereitgestellte Videoclips. Ziel ist es, dass die Lehramtsstudierenden funktional und aufmerksamkeitsaktivierend aufgebaute Experimente kennen – und sie den Schüler:innen im Unterricht adäquat präsentieren können. Die Studierenden entwickeln durch das Vertonen der Videos Fähigkeiten, die Aufmerksamkeit verbal auf bestimmte Bereiche des Experiments zu lenken und die Schüler:innenzu aktivieren, die entsprechenden Beobachtungen selbständig zu realisieren. Darüber hinaus schult das Konzept den sensiblen und adressatengerechten Einsatz von Sprache und Fachvokabular im Unterricht.

Wie aber kann man den Studierenden zeigen und erfahrbar machen, wie sie die Aufmerksamkeit ihrer Schüler:innen beeinflussen, bzw. wie diese auf deren verbale Steuerung reagieren? Als besonders zielführend und gewinnbringend für den Lernfortschritt der Studierenden erwies sich hier der Einsatz von Eye Tracking. Dabei wird die Augenbewegung von Probanden, während sie zum Beispiel einen Bildschirm betrachten, aufgezeichnet und anschließend analysiert. Bisher liegt eine Hauptanwendung von Eye Tracking z.B. in der Analyse von Medienanwendungen, wobei das Blickverhalten von Probanden analysiert wird, um die Bedienbarkeit von Softwareanwendungen oder Maschinen zu verbessern. Eye Tracking wird aber auch eingesetzt, um aus den Blickdaten Informationen über den Verarbeitungs- oder Lernprozess von Nutzern abzuleiten. Eine weitere, besonders spannende Anwendung in der Lehrerbildung ist mobiles Eye Tracking, bei dem z.B. das Blickverhalten von Lehrkräften während des Unterrichts aufgezeichnet und analysiert werden kann.

Wir verwendeten Eye Tracking in einer weitergehenden, innovativen Art für die Lehramtsausbildung: Schüler:innen der 7. Jahrgangsstufe betrachteten dazu von den Studierenden vertonte Videos zum Thema Schattenwurf (pre), wobei deren Blickverhalten mittels Eye Tracking beim Betrachten dieser Filme aufgezeichnet wurde. Die Blickbewegungen wurden anschließend in die Videos eingespielt und diese sog. "Gaze Overlay Videos" den Studierenden gezeigt (siehe Abb. 1). Jede:r Studierende konnte somit mit Hilfe dieser Visualisierung unmittelbar die Wirkung seiner eigenen Moderation auf die Schüler:innen erfahren. Auch konnten die Studierenden erkennen, wie zeitlich eingegrenzt Schüler:innen ihre Aufmerksamkeit auf eine Stelle halten. Zugleich wurden mit Interviews die Erfahrungen bei der Arbeit mit „stummen Videos“ und dem Feedback durch Eye Tracking erhoben. Damit einher ging auch eine Analyse der Moderationen gemäß einem theoretisch fundierten Kriterienkatalog.

Abb.1: Ausschnitt aus einem Gaze Overlay Video: Die drei farbigen Punkte stellen den Fokus der Aufmerksamkeit dreier Schüler:innen beim Betrachten des Videos dar.

Nach diesem ersten Feedback moderierten die Studierenden weitere fünf Videos aus unterschiedlichen Themenbereichen der Schulphysik, die dann im Seminar besprochen wurden. Am Ende des Semesters vertonten sie das allererste Video zum Thema Schattenwurf noch einmal (post). Wiederum wurden diese Videos getrackt und den Studierenden die Gaze Overlays vorgespielt. Die Bereiche, die von den Schüler:innen besonders intensiv betrachten werden, lassen sich mit sogenannten Heatmaps darstellen. Je dunkler die farbigen Bereiche in den Grafiken gefärbt sind, desto länger wurde dieser Bereich betrachtet (siehe Abb. 2).

Abb.2: Beispiel für Heatmaps eines Studierenden (pre and post): Je dunkler die Flächen, umso intensiver werden diese Bereiche betrachtet. Hier lässt sich die zunehmend genauere Fokussierung der Blicke der Schüler:innen auf eine Stelle im Versuch gut erkennen.

Vor allem beim Vergleich der Post- mit der Pre-Moderation konnten die Studierenden besonders viel lernen: Zum einen erfuhren sie unmittelbar die Zunahme ihrer individuellen Fähigkeiten bzw. mit welchen Maßnahmen sie die Aufmerksamkeit der Schüler:innen lenken können. Zum anderen konnte erkennbar gemacht werden, wie Schüler:innen reagieren bzw. wo diese während der Präsentation hinschauen. Die Studierenden „sahen buchstäblich“, wie z.B. die Aufmerksamkeit der Schüler:innen abschweifte, wenn sie selbst während der Präsentation zu viel redeten oder selbst Beobachtungsaufgaben der Schüler:innen verbal vorwegnahmen. Vor allem erkannten die Studierenden aber auch, dass sie nicht nur die Aufmerksamkeit der Schüler:innen an einen bestimmten Ort lenken müssen, sondern dass sie Ihnen auch Zeit geben müssen, eingehende Beobachtungen machen zu können. Der Einsatz von Eye Tracking als Feedbackmethode ist bei der Ausbildung angehender Physiklehrkräfte extrem gewinnbringend. Allerdings begrenzt die große Anzahl an benötigten Schüler:innen leider etwas den intensiven Einsatz. Die bislang gemachten Erkenntnisse fließen aber direkt in die weitere Physiklehrerausbildung an der LMU München ein.

Das Projekt „Lehramtsspezifische Ergänzungen und Berufsfeldbezüge für die Grundvorlesung der Physik“ wird im Rahmen von „Lehrerbildung@LMU“ in der Qualitätsoffensive Lehrerbildung an der Ludwig-Maximilians-Universität München unter der Leitung von Professor Dr. Raimund Girwidz von StD Matthias Schweinberger umgesetzt und realisiert.

Matthias Schweinberger

Zurück zum MZL-Blog